Wie es zu diesem Motto kam: Meine wegweisende Wintersonnenwende 2021
An diesem Tag habe ich meine Kündigung eingereicht – pardon, Beamtinnen kündigen ja nicht, sie bitten um ihre Entlassung. Genau das habe ich getan. Nach Jahren des Zögerns, Festhaltens, mich-nicht-Trauens habe ich den lebensverändernden Brief genau an diesem Tag abgeschickt. Die Zahl 21 hat im Jin Shin Jyutsu die Bedeutung „Entkommen aus geistiger Gefangenschaft“ – genau das ist es für mich.
Es fühlte sich nicht halb so weltbewegend an wie in meiner Vorstellung. Es war einfach ein Brief, der in einem Postkasten verschwand und mitten auf die vielen Weihnachtsbriefe fiel. Ihm voraus ging ein jahrelanger Prozess: eine gute bezahlte, sichere Beamtenstelle gibt man nicht leichten Herzens auf. Nette Kolleg*innen, ein angenehmes Arbeitsumfeld, ein großes Einzelbüro. Immer jemand da, der einem weiterhilft, egal ob der Kopierer muckt oder man schnell etwas aus der Bibliothek braucht.
Mein halbes Leben lasse ich zurück
Seit mehr als 20 Jahren arbeite ich im Institut für Biologiedidaktik der Justus-Liebig-Universität Gießen in der Lehramtsausbildung (Biologie und Sachunterricht). Die Kolleg*innen waren schockiert, sprachlos. Manche Dinge kann man nicht „schonend beibringen“. Ich habe Vieles entscheidend geprägt, was an diesem Institut passiert, haufenweise Ideen eingebracht, Aufgaben übernommen und organisiert. Viele Menschen kamen und gingen, die Studienrätin im Hochschuldienst, Dr. Gundula Zubke, blieb. War meistens gut gelaunt und motiviert und hatte für alle ein offenes Ohr.
Vor der Tür meines Büros in der Uni
Meine langjährige Kollegin sagte sofort, sie habe es schon geahnt, dass ich gehen würde. Das erleichterte mich sehr. Ich lasse sie im Stich, so fühlt sich das an. Wir waren immer ein gutes Gespann, sie und ich. Aber ich kann nicht ihr zuliebe bleiben, jetzt erst recht nicht. Ich wollte schon gehen bevor Corona kam, Dank Corona fällt es mir leichter. Es macht mich immer skeptisch, wenn nur ein einziger Weg richtig sein soll und man von mir erwartet, dass ich das auch so sehe.
Fragen, vor allem kritische, sind derzeit nicht gefragt – und ich kann schweigen, wenn das das Gebot der Stunde ist. Hauptsache, meine Familie und meine Freund*innen verstehen mich. Meinen Pferden ist ohnehin schnurz, wie ich über das Weltgeschehen denke. Es gäbe noch vieles zu meinen anderen, tieferen Beweggründen zu sagen, aber das muss noch warten. Eines Tages schreibe ich vielleicht mein zweites Buch, der Titel steht schon fest: „Summa cum laude und tschüss!“. Jetzt muss erstmal das erste Buch fertig werden…
Vom gescheiterten Versuch, auf zwei Hochzeiten zu tanzen
Im Rückblick kommt es mir vor als hätte ich Jahre lang ein Doppelleben geführt: Ein Teil von mir arbeitete als Wissenschaftlerin, schrieb zuerst eine Doktorarbeit und wechselte dann in die Lehre, auf eine unbefristete Beamtenstelle – so ein Angebot kann man doch nicht ausschlagen, oder? Hier fühlte sich mein scharfsinniger, kritischer Verstand zu Hause. Der andere Teil beschäftigte sich mit spirituellen Fragen, alternativer Medizin, persönlicher Weiterentwicklung und lebte vorwiegend aus dem Bauch (oder dem Herz?) heraus.
Themen und Qualitäten, die in der Wissenschaft nicht so gefragt sind. In zwei Welten zu leben ist zwar reizvoll, aber auf Dauer schwierig. Und mit den Jahren wurde meine Herzensseite immer stärker… Daran waren vor allem meine Vierbeiner „Schuld“, denn die holten mich immer wieder aus dem Kopf ins Herz…
So sieht für mich Glück aus – mit Rosi in Action!
Gibt es Menschen, die sich nach ihrem Urlaub auf die Arbeit freuen? Das tat ich nämlich nie. Und fand mich schrecklich undankbar deswegen. Und gab es vor mir selbst nicht zu. Warum konnte ich mich nicht damit zufriedengeben, nur in meiner Freizeit meiner Leidenschaft für Pferde nachzugehen?
Reicht es nicht, zufrieden zu sein?
Ich versuchte, mich damit zu arrangieren und war nicht unglücklich dabei. Aber glücklich? Auch nicht. Muss man glücklich sein, reicht zufrieden nicht aus? Es genügte mir solange bis die Hormone voll zuschlugen, am Ende meiner Vierziger. Der Sturm, der sich in meinem Inneren anbahnte, war nicht gerade klein. Will ich noch fast ZWANZIG Jahre so weitermachen? Eine Stelle ausfüllen, die andere Menschen glücklich macht, aber mich eben nicht? Welchen Sinn hat das eigentlich? Und WARUM mache ich das? Für wen? Kann ich mein Geld nicht anderswo verdienen?
Die Gedanken ließen mich nicht los. Und Corona setzte eine Lawine in Gang, die nicht mehr aufzuhalten war, denn nur im Homeoffice zu arbeiten gefiel mir ungeahnt gut! Erschreckenderweise vermisste ich meinen Arbeitsplatz weniger als ich gedacht hatte. Die Würfel waren gefallen. Oder um es mit Reinhard Mey zu sagen: „Gute Nacht Freunde, es ist Zeit für mich zu gehen.“
Es gibt noch vieles in der Uni abzuschließen, bevor ich gehen werde. Meine Freude auf die Zeit danach wird immer größer. Vorstellen kann ich es mir noch nicht so richtig. Mehr als 20 Jahre sind eine lange Zeit….
Mein Abschiedsfoto vom Büro am 23.11.2021, ab jetzt ist wieder Homeoffice angesagt
Was will ich 2022 entfalten?
Überraschenderweise habe ich noch immer keine kalten Füße beim Gedanken daran, kein regelmäßiges Gehalt mehr zu beziehen. Auf meinem Konto ist ein ordentliches Polster und selbst wenn dem nicht so wäre: Ich muss jetzt raus aus dem Kokon, er ist mir viel zu eng geworden, hat Risse bekommen und kann den Schmetterling im Innern nicht mehr davon abhalten, ihn zu verlassen. Entfaltung ist angesagt. Endlich.
Mich selbst zum Ausdruck bringen
Die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, mich selbst zum Ausdruck zu bringen, genau das ist es, was ich ab 2022 im Sinn habe. So sein, wie ich bin. Mich zeigen, so, wie ich bin. Mit Menschen zusammenzuarbeiten, denen ich mich offen zeigen kann, so wie ich bin. Bei denen ich kein Blatt vor den Mund nehmen muss. Ja, ich kann mein Innerstes auch verstecken und mich meinem Umfeld anpassen, aber das ist keine Dauerlösung für mich. Ich möchte nicht nur in meinem Privatleben sein können, wie ich bin und sagen können, was ich denke. Und ich weiß, es gibt viele Menschen, die so ähnlich ticken wie ich. Die sich gestärkt und ermutigt fühlen, wenn ich mich ihnen zeige, so wie ich bin. Und dazu fällt mir ein Spruch ein, der zu meinen absoluten TOP-Favoriten gehört:
„Wenn ich mich zeige, so wie ich bin, wenn ich dich sehe, so wie du bist, passen wir vielleicht gar nicht zusammen, so wie wir sind“, sagt der Zweifel. „Nur wenn ich dich nehme, so wie du bist, nur wenn ich mich gebe, so wie ich bin, können wir uns nahe sein, so wie wir sind“, sagt die Liebe. (Spruch gefunden auf https://www.likemonster.de/)
DAS ist Entfaltung für mich. Vermutlich noch viel mehr. Ich werde es entdecken. Das Jahr fängt ja gerade erst an!
Wege entstehen beim Gehen!
Kann man Entfaltung messen?
- Offenheit! Menschen teilhaben lassen an meinen inneren und äußeren Prozessen
- Verletzlich bleiben – frisch geschlüpft ist verletzlich, muss ich das verstecken? Sind nicht die stark, die auch schwach sein können und sich trauen, das zu zeigen?
- Für meine Überzeugungen einstehen – andere tun das ja auch vollkommen selbstbewusst. Warum meine ich immer, andere „schonen“ zu müssen und nehme das als Grund dafür, mich zurückzuhalten?
- Auf meinem Weg bleiben, mein Tempo gehen. Vergleiche mit anderen haben mich noch nie glücklich gemacht.
- Mich trauen, meine Angebote vielen Menschen zugänglich zu machen. Die größte Herausforderung überhaupt. Von nüscht kommt nüscht…
Ja, hier stehen keine harten Zahlen, keine smarten Ziele. Das ist einfach nicht mein Ding.
P.S. Danke, Judith Peters, nie hätte ich mich ohne dein Motto getraut, so offen zu schreiben: „Blog like nobody’s reading“. Das kann ja lustig werden in unserer „The Content Society„!
Ich gratuliere dir zu diesem mutigen und so kraftvollen Schritt in ein selbstbestimmtes, freies Leben. Wie großartig!
Mir ging es vor elf Jahren so und ich habe diesen Schritt nie bereut.
Alles Gute, viel Glück und Erfolg wünsch ich dir für deinen Weg und freue mich, jetzt regelmäßig von dir zu lesen und zu erfahren, wie es weitergeht.